Indochina

Auszug aus dem Magazin vom Tagesanzeiger:

Wenn ich sage, dass ich heute besser reisen kann, meine ich aber etwas Wesentlicheres: Ich interessiere mich kaum mehr für Sehenswürdigkeiten oder besondere Landschaften. Auch bemesse ich den Wert einer Reise nicht nach der Exotik der Destination oder den Schwierigkeiten, die ich gemeistert habe. Stattdessen stellt sich ein tiefes Glücksgefühl ein, wenn ich in einem fremden Land möglichst Gewöhnliches erlebe. Ich suche immer die Situation, die es mir erlaubt, teilzunehmen am Alltag der Einheimischen, auch wenn es nur für wenige Stunden ist: Einmal sass ich in Beijing im Wohnzimmer einer Grossfamilie und schaute mir die sechsstündige Neujahrsgala des Staatsfernsehens CCTV an. Das ist mir stärker in Erinnerung geblieben als der Besuch der Verbotenen Stadt. In der indischen Stadt Devlali spielte ich bei einbrechender Dunkelheit Tennis mit einer Gruppe von Schülerinnen, die alle Sari trugen. Der Ball war kaum mehr zu sehen, über dem Platz wirbelten riesige Fledermäuse. Dieses Bild blieb mir erhalten, vom Taj Mahal dagegen weiss ich nur, dass ich mal dort war.
Ich denke darüber nach, weshalb mich in der Fremde ausgerechnet das Alltägliche anzieht. Georg, der Freund, der auch viel reist und das Talent besitzt, unfertige Gedanken mühelos zu Ende zu denken, sagt: «Unterwegs habe ich oft dieses befreiende Gefühl, dass es eine grosse Welt gibt, die sich keinen Deut für mich interessiert.» Daran kann ich anknüpfen: In Umstäden, die mit mir rein gar nichts zu tun haben - also meist weit weg von meiner vertrauten Umgebung -, wird mir klar, wie absurd es ist, sich selbst so viel Bedeutung beizumessen.

suzette.fischer

31 chapters

16 Apr 2020

Gedanken zum Reisen

December 03, 2017

Auszug aus dem Magazin vom Tagesanzeiger:

Wenn ich sage, dass ich heute besser reisen kann, meine ich aber etwas Wesentlicheres: Ich interessiere mich kaum mehr für Sehenswürdigkeiten oder besondere Landschaften. Auch bemesse ich den Wert einer Reise nicht nach der Exotik der Destination oder den Schwierigkeiten, die ich gemeistert habe. Stattdessen stellt sich ein tiefes Glücksgefühl ein, wenn ich in einem fremden Land möglichst Gewöhnliches erlebe. Ich suche immer die Situation, die es mir erlaubt, teilzunehmen am Alltag der Einheimischen, auch wenn es nur für wenige Stunden ist: Einmal sass ich in Beijing im Wohnzimmer einer Grossfamilie und schaute mir die sechsstündige Neujahrsgala des Staatsfernsehens CCTV an. Das ist mir stärker in Erinnerung geblieben als der Besuch der Verbotenen Stadt. In der indischen Stadt Devlali spielte ich bei einbrechender Dunkelheit Tennis mit einer Gruppe von Schülerinnen, die alle Sari trugen. Der Ball war kaum mehr zu sehen, über dem Platz wirbelten riesige Fledermäuse. Dieses Bild blieb mir erhalten, vom Taj Mahal dagegen weiss ich nur, dass ich mal dort war.
Ich denke darüber nach, weshalb mich in der Fremde ausgerechnet das Alltägliche anzieht. Georg, der Freund, der auch viel reist und das Talent besitzt, unfertige Gedanken mühelos zu Ende zu denken, sagt: «Unterwegs habe ich oft dieses befreiende Gefühl, dass es eine grosse Welt gibt, die sich keinen Deut für mich interessiert.» Daran kann ich anknüpfen: In Umstäden, die mit mir rein gar nichts zu tun haben - also meist weit weg von meiner vertrauten Umgebung -, wird mir klar, wie absurd es ist, sich selbst so viel Bedeutung beizumessen.

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